Aktueller Buchtipp
Zum Baden in die Sommerfrische
André Farin beschreibt die Anfänge und die Blütezeiten der Seebäder von Rügen und Hiddensee.
ISBN 978-3-00-068129-5
189 Seiten 22,50 €
Badeanstalt Altefähr
Am Strand von Göhren
André Farin
Zur Sommerfrische an die Ostseeküste
Kleine Geschichte der Seebäder der Inseln Rügen und Hiddensee
Über die Anfänge und Blütezeiten (1815-1915)
ISBN 978-3-00-068129-5
189 Seiten 22,50 €
Leseprobe
Exkurs: „Kurkartenzwang“ in Rügens Seebädern
Kreative Badedirektionen kalkulierten schon im 19. Jahrhundert eigene Gebühren
Über Sinn und Unsinn der Kurtaxe wird an der Ostseeküste immer diskutiert. So auch auf der Insel Rügen, wo Badegäste diese Abgabe schon lange zahlten, bevor sie der preußische Gesetzgeber festgeschrieben hatte.
Im Juli 1893 nämlich verabschiedete der preußische Landtag das Kommunalabgabengesetz und erlaubte damit bestimmten Gemeinden ab Januar 1895, eine Kurabgabe zu erheben. Diese im § 12 geregelte Vergütung sollte „für die Herstellung und Unterhaltung der zu Kurzwecken getroffenen Veranstaltungen“ dienen. Die Touristen bekamen im Gegenzug eine Kurkarte, die als Quittung und als „auf den Namen lautendes Legitimationspapier“ galt. Damit durften sie auch an den für „Kurgäste reservierten Veranstaltungen“ teilnehmen und ausgewählte Einrichtungen besuchen.
Erste Nachrichten von kurtaxpflichtigen Orten der Insel Rügen finden wir bereits in Reiseführern der 1880er Jahre. Wie in dem von Hermann Dunker 1887 in Bergen veröffentlichten Rügenheft. Darin werden Sassnitz, Lohme und Göhren erwähnt, die eine Kurtaxe von 3 Mark pro Person kassierten; Familien zahlten zwischen 5 und 6 Mark. In Sassnitz galt für einige Jahre die Regel, dass ein Aufenthalt bis zu 8 Tagen frei war. Trotzdem gab es dort schon erste Kritik an dem System, wie wir in einer Reisebeschreibung lesen:
„Die Kurtaxe wird für das Halten des Badearztes erhoben; für Verschönerungen wäre sie ungerechtfertigt, denn für diesen Zweck geschieht seit Jahren wenig.“
Man sprach in dem Zusammenhang auch von „Passanten“, die nur für eine Nacht in dem Ort weilten und dennoch die Kurabgabe zahlen mussten.
Das neue Gesetz brachte für die verärgerten Reisenden, unzufriedenen Gastgeber und klammen Badedirektionen keine wesentlichen Änderungen oder Vereinfachungen. Denn die Höhe der zu zahlenden Abgabe durften die betroffenen Gemeinden selbst festlegen – je nach Aufwand und Bedarf. Gerade aus diesem Grunde variierten die Bezeichnungen dafür. Während man offiziell von Kurtaxe sprach, fanden manche Inselorte vereinfachende oder wohlklingende Namen wie „Zuschussmiete“ in Breege, „Verwaltungsbeitrag“ in Göhren oder „Herbergs- und Bettsteuer“ in Putbus. Daher verwundert es auch nicht, dass sich in allen Badeorten an Rügens Ostküste innerhalb von nur 20 Jahren ganz eigene und ortsspezifische Kurtax-Tarife entwickelten. In „Griebens Reiseführer“ der Saison 1914/1915 werden diese in den Darstellungen der sehenswerten Ortschaften genau aufgelistet. In Sassnitz zum Beispiel zahlten „alle Fremden vom 15. Juni bis 15. September für jede Nacht 50 Pfennige“ und konnten sich sicher sein, dass diese Pflicht nach „12 Zahlungstagen“ endete.
In anderen kleineren Orten lag die Kurtaxe bei 6 Mark für einzelne Personen und wurde am 3., 4. oder 5. Tag des Aufenthalts fällig. Von diesen Regelungen erfahren wir aus den Badeorten Sellin, Baabe, Göhren, Thiessow und Wiek.
In Sassnitz befreite man einige Ortsgäste von der Abgabe: „Ärzte und deren Familien, Beamte, Gewerbetreibende in Ausübung ihres Berufs, Schüler mit begleitendem Lehrer, Kinder unter 10 Jahren und Dienstboten.“ In anderen Orten wie Putbus und Lauterbach wurde teilweise keine Kurabgabe erhoben. Aus dem ältesten Seebad der Insel lesen wir von einer besonderen Idee der Gastgeber: „Jeder ankommende Badegast erhält ein Ständchen, für welches er nach Belieben zahlt.“ Den kleinen Kulturbeitrag nannten die Putbusser „Beitrag für Musik“ und orientierten in den Reiseführern auf 15 Pfennige pro Person. Zahlten die Gäste nicht, musste der Vermieter diesen „Musikgroschen“ schließlich selbst abführen.
Das meist besuchte Ostseebad Binz orientierte sich, wie wir lesen, „an den Preisen in Swinemünde, Ahlbeck und Heringsdorf.“ Kurdirektor Oberst a. D. Seelmann ließ die Wochenpreise für die Aufenthalte von Besuchern genauestens aufführen. Ein Gast zahlte bei einem Besuch bis zu einer Woche einen moderaten Preis von 3 Mark; jede weitere Woche kostete ebenso viel. Und nur mit diesem Ticket durfte man beispielsweise das Familienbad besuchen, das mit einem „Kurkartenzwang“ belegt worden war. Anders als das von dem Baumeister Heinemann errichtete „neue prächtige Luft-, Sonnen- und Seebad“ am so genannten „Lidostrand“. Dort konnte man sich ohne Eintritt von den Strapazen des Alltags erholen oder einfach nur in neuestem Outfit sehen lassen. So versprach es jedenfalls der Autor in „Griebens Reiseführer“.
Andere Leistungen in Binz kosteten zusätzlich Geld. Es war hier mit der Zeit ein sehr ausgeklügeltes System von Preisen und Angeboten entstanden, die es den Badegästen leichter machen sollten, sich auch sparsam erholen zu können. Für die Strandbäder löhnten die Badelustigen in der Kernzeit zwischen 9 und 14 Uhr 50 Pfennige anstatt 20. Man konnte sogar Blocks zu 10 Karten erwerben und dabei 1 Mark sparen. Ein Abo wurde für den Besuch des „neuen Bades“ in Höhe von 60 Pfennigen angepriesen. Den Strandkorb mietete man für 2 bis 4 Mark wöchentlich.
Die Gebührenliste, von der heutige Kurdirektoren noch etwas abschreiben könnten, beendet das Brückengeld für die „Prinz-Heinrich-Brücke“. 10 Pfennige zahlten Schaulustige, um die sehenswerte Seebrücke zu betreten und der Ostsee noch ein Stückchen näher zu sein. Auch diese Gebühr wird etwas in den Kurhaushalt eingebracht haben, wenn man bedenkt, dass im Sommer 1914 gut 26.000 Badegäste in 20 Hotels und 160 Villen übernachteten.
Der Fantasie zur Erhebung von ganz unterschiedlichen Abgaben waren also schon in früheren Zeiten keine Grenzen gesetzt.
Eckhard Oberdörfer, Ostsee-Zeitung