Wussten Sie, warum Otto von Bismarck im Herbst 1866 gerade auf Rügen so schnell gesund werden konnte? Und dabei fast ohne Rotwein, fettes Essen und Zigarren auskam? Antworten gibt André Farin ich in seinem Buch „Bismarck auf Rügen“. Er hat es inhaltlich bearbeitet, mit zahlreichen historischen Aufnahmen versehen und jetzt im Eigenverlag neu aufgelegt.
Otto von Bismarck weilte nachweislich dreimal auf der Insel Rügen. Die beiden ersten Aufenthalte von 1838 und 1854 waren nur Tagesreisen, um den Fürsten zu Putbus und seine junge Residenz kennen zu lernen bzw. den preußischen König in der Krimkrise zu beraten.
Die dritte Reise nach Rügen im Herbst 1866 war zuerst als kurzer Ostseeaufenthalt gedacht, um sich wie gewohnt von den Strapazen des Berliner Alltags zu erholen. Daraus wurden schließlich mehrere Wochen, da Bismarck so sehr erkrankte, dass an eine Rückreise in die Hauptstadt nicht zu denken war.
Gartenhaus Putbus
Der Lehrer André Farin untersucht die Putbusser Tage, die Bismarck hier mit seiner Frau Johanna und der Tochter Marie verbrachte. Dabei zeichnet er mithilfe von zahlreichen privaten Briefen und anderen zeitgenössischen Dokumenten den Kurverlauf nach. Er fragt nach den Umständen, die eine Gesundung beschleunigten und schon recht bald Bismarcks Teilnahme an Jagden und kleineren Abendgesellschaften auf Rügen ermöglichten.
Das vorliegende Buch beleuchtet auf 160 Seiten erstmals in dieser Form den Aufenthalt des preußischen Staatsmannes auf Rügen, gibt Einblicke in das damalige Leben auf der Insel und begutachtet die „Kurbedingungen“ für den Grafen. Dieser lobte seinen Aufenthaltsort und die „köstlich frischen Seeluftbäder von Putbus“.
Bismarck im Jahr 1866
Der Autor stellt die historische Bedeutung der „Putbusser Diktate“ dar, die inhaltlich in die Verfassung des Norddeutschen Bundes und die spätere deutsche Reichsverfassung von 1871 einflossen. Dabei geht er auch auf den Mythos vom Entstehen des Verfassungstextes in nur zwei Tagen ein.
Auszüge aus den Tageszeitungen, amüsante Anekdoten und Aussagen von Zeitgenossen bereichern das Buch, das zugleich einen bildhaften Einblick in den Ort Putbus und dessen Umgebung bietet, wo Bismarck die notwendige Entspannung und Anregung für wegweisende persönliche und politische Ideen fand.
André Farin
Bismarck auf Rügen
Seine Aufenthalte auf der Ostseeinsel „in Schmierstiefeln weit weg von der Zivilisation“
ISBN 978-3000767517
160 Seiten 16,50 €
Leseprobe
3. Mehr als ein Erholungsurlaub an der Ostsee
„Wenn er aber still sitzt, im blauen Himmel und grüne
Wiesen sieht und Bilderbücher blättert, geht’s leidlich gut.“
Otto von Bismarck reiste am 26. September nach Karlsburg bei Greifswald, wo er seinen Cousin Friedrich von Bismarck-Bohlen besuchen wollte. In dem Karlsburger Schloss mit all seinen Annehmlichkeiten machte es sich der Reisende bequem, denn er kannte sich hier gut aus. Von Herbst 1838 bis Sommer 1839 hielt er sich nämlich während seiner Dienstzeit im Pommerschen Jägerbataillon in Greifswald oft auf dem Schloss auf. Hier wartete er nun auf seine Frau Johanna, die mit den Kindern zum Beginn der Schulferien am 29. September nachkommen sollte. Sie beeilte sich, da sie in Berlin die Nachricht von Bismarcks Erkrankung erreichte. „Matt, angegriffen und appetitlos“ fand sie ihn vor und hatte den Eindruck, dass die große Politik bei ihm „Wehmuts- und Ärgergefühle“ erregte: „Wenn er aber still sitzt, im blauen Himmel und grüne Wiesen sieht und Bilderbücher blättert, geht’s leidlich gut.“1
Bereits hier untersuchte ihn der Sanitätsrat Dr. Heinrich Struck am 2. Oktober gründlich und mit der Empfehlung absoluter Ruhe und Entspannung, bevor die Bismarcks mit ihrer 18jährigen Tochter Marie nach Rügen weiterreisten. Bevor die beiden schulpflichtigen Söhne nach Berlin zurückgebracht wurden, genossen sie ein paar Tage die Insel. Sie besuchten die Stubbenkammer und zweimal das Jagdschloss Granitz, wo sie der Putbusser Fürst sehr liebevoll aufgenommen hatte.2
Vor Reisebeginn nach Pommern zeichnete sich nicht ab, dass gerade Rügen dafür geeignet war, genügend Kräfte für zukünftige politische Aufgaben zu sammeln. Die ländliche Ruhe, eine beeindruckende Insellandschaft und die Fürsorge der fürstlichen Familie zu Putbus sorgten für eine entspannende und anregende Atmosphäre. Im Bismarck-Roman des Schriftstellers Karl Bleibtreu finden wir eine Textpassage, die von den Wochen auf der Insel Rügen erzählt und die wichtigsten Akteure zwischen Ruhephasen und Politikgedanken benennt und agieren lässt. Die Passage aus dem vierbändigen Werk wird im Anhang übernommen. Erstaunlich ist, wie viel der Autor aus zeitgenössischen Quellen und späteren Untersuchungen über Bismarcks letzten Putbus-Besuch von 1866 erschlossen hat, um so detailliert neben epischen Anteilen immer auch biografische Inhalte zu vermitteln.3
Fürst Wilhelm zu Putbus konnte den besonderen Gast aus Berlin nicht zu sich auf das Schloss einladen. Dieses war im Dezember 1865 abgebrannt und wartete auf einen Neuaufbau. Die fürstliche Familie wohnte in dieser Zeit in dem Gartenhaus in der Nähe des kreisrunden Platzes Circus und gleich neben dem fürstlichen Küchengarten.4 Sein Großvater, Wilhelm Malte zu Putbus, hatte es 1828/1829 von dem Berliner Architekten Johann Gottfried Steinmeyer im klassizistischen Stil errichten lassen. Es entstand anstelle des alten Kruggebäudes im ältesten Teil des Putbusser Parks und war anfangs für den fürstlichen Gärtner vorgesehen.5 Der Fürst entschied sich, die Bismarcks hier unterzubringen, denn das „Hotel du Nord“ am Circus war alles andere als geeignet für einen erholsamen Urlaub.
Johanna von Bismarck kam ins Träumen, als sie von diesem Umzug schrieb, denn das Hotel war für sie der „scheußlichste Gasthof mit ewigem Lärm – im tollsten Kriegsgewühl kann kein ärgerer Skandal sein – Wagengerassel ohne Ende, klapprige Fenster, undichte Türen, es war grässlich.“6 Das Ständchen, das dem hohen Gast der hiesige Männergesangsverein am Abend der Anreise brachte, konnte ebenso so wenig in dieser Situation helfen wie die feierliche Begrüßung durch den fürstlichen Rendanten Herrn Olfe, der „dem Gefühl der Verehrung für den Staatsmann in einer Ansprache Ausdruck“ verlieh.7
In dem fürstlichen Gartenhaus war alles anders, auch wenn es nur einige Schritte von dem Hotel und der wohl stark befahrenen Straße nach Mönchgut entfernt lag. Es befand sich „in tiefer Abgeschiedenheit zwischen grünen Hecken, Weinranken, herbstlichen Rosen, mit dem Blick ins Meer hinein – aufs beste verpflegt von Koch, Diener und Mädchen.“8
Fußnoten
1 KEUDELL 1901. S. 313 f. Johanna von Bismarck berichtete Robert von Keudell über ihre Gedanken, die sie am 30. September 1866 bewegten: „Je näher wir Karlsburg kamen, je mehr ängstigte ich mich, es könne recht schlechtgehen… war überselig, als ich ihn außer dem Bett und lange nicht so schlimm fand wir man nach Fritz‘ /Bismarcks Cousin – d. A./ Jammergericht vermuten kann.“ Dass. S. 314.
2 KEUDELL 1901. S. 316. Den Bismarcksöhnen Herbert und Wilhelm gefiel es auf der Insel sehr, wie die Mutter zu berichten wusste: „Die Jungen sind in steter Ekstase über die lieben Menschen.“
3 Vgl. BLEIBTREU 1915. Der Auszug stammt aus Kapitel 24 des zweiten Bandes.
4 Das Gartenhaus der fürstlichen Familie zu Putbus wurde zunächst als „Gärtnerhaus“ mit einer Wohnung für Bedienstete konzipiert und genutzt. Nach dem Brand des Schlosses zu Putbus im Dezember 1865 wurde es als Wohnhaus der fürstlichen Familie eingerichtet. Später wohnte hier Fürsten Löwenstein, nach der das Gebäude den Namen „Villa Löwenstein“ trug. Nach dem Krieg wurde vor der Villa im Jahr 1954 ein Rosengarten angelegt, in dem enteigneten Gebäude eröffnete die Handelsorganisation Konsum 1957 ein „Rosencafé“. Im fortlaufenden Text wird der Einfachheit halber vom Gartenhaus gesprochen.
5 Eine ausführliche Beschreibung der Entstehung und baulichen Besonderheiten des Gärtnerhauses wird vorgenommen in der Arbeit von Andreas VOGEL 2003, S. 84-85. Zudem sind hier zwei Entwürfe des Berliner Architekten und die erforderlichen Kostenaufstellungen zu finden, die sich heute in der Plankammer der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin Brandenburg befinden.
6 KEUDELL 1901. S. 315.
7 LOEBE 1910. Vgl. S. 50.
8 Dass. S. 315.
Stralsunder Stadtarchivar Dr. Andreas Neumerkel