Mit diesen Worten macht der Autor André Farin auf sein neu aufgelegtes Buch „Lauterbach. Rügens ältestes Seebad. Hafenort. Bootsbautradition“ aufmerksam, mit dem er über ein Thema schreibt, das bislang nur nebenbei oder gar nicht bearbeitet oder gar beachtet worden war. Das 100. Jubiläum des Hafenbaus nahm er zum Anlass, um über einen Ort auf Rügen zu schreiben, der auf eine bemerkenswerte Geschichte verweisen kann.
Das Badehaus Goor bei Lauterbach
Die Veröffentlichung gewährt Einblicke in das Leben von Menschen, die in und mit dem Hafen ihre Existenz aufbauen konnten und erzählt beispielhaft von einigen Fischern, Schiffern und Bootsbauern. Da dürfen natürlich auch Menschen, die wegen ihres Auftretens, ihres ständigen Engagements für andere und ihrer speziellen Eigenheiten zu Originalen geworden sind, nicht fehlen. Auch die Jahre nach 1989 und derzeitige Vorhaben fehlen in der Publikation nicht. Die sich durch das Buch ziehende Chronik gibt einen geschichtlichen Überblick über Lauterbachs Entwicklung von 1809 bis 2002.
Hervorzuheben sind die im Buch enthaltenen Kindheitserinnerungen der geborenen Lauterbacherin Marlene Lübbe, deren Vater vor dem 2. Weltkrieg die dortige Fischkonservenfabrik leitete. Vor allem die 1930-er Jahre sind Gegenstand ihres Berichtes, der mit wertvollen Bildern aus dieser Zeit sehr anschaulich einen Ausschnitt aus der Geschichte des Hafenortes gibt. Ähnlich wie alle anderen schwarz-weißen Fotos, die größtenteils zum ersten Mal mit dieser Publikation veröffentlicht werden.
André Farin
Lauterbach
Rügens ältestes Seebad. Hafenort. Bootsbautradition.
ISBN 978-3-00-036509-6
94 Seiten 13,50 €
Leseprobe
Die Plage mit Rügens Seehunden
Fischer klagen über Seeräuber in Bodden und Ostsee
Immer wieder, wenn die Lauterbacher Fischer vom Eisangeln kamen, beklagten sie sich zu Hause über die Seeräuber, gegen die keiner ankam: die Seehunde. Das mussten sie vor 100 Jahren mal dem Redakteur des Rügenschen Kreis- und Anzeigeblattes erzählen, der prompt eine Meldung für die übrigen Leser des Kreises formulierte und zur Jagd auf die Robbenart mobil machte.
Dabei kannten die Rüganer das Problem schon seit Jahrzehnten, wie Ernst Boll 1858 in seinen Reise-Erinnerungen von Rügen zu berichten wusste. Auf der Insel nannte man die Fischräuber „de Sähl“, verwandt mit dem englischen „seal“ oder dem schwedischen „själ“. Während man die Seehunde den Sommer über an der Küste nicht zu Gesicht bekam, stellten sie sich zum Verdruss der Fischer im Herbst und Frühling ein, wenn die Heringszeit begann.
Boll erzählt von den Überraschungen, welche die Fischer morgens beim Einholen der Netze erlebten: „Wenn nämlich .. die Manzen (große Netze, in deren Maschen sich die Heringe mit den Köpfen fangen) aus dem Wasser gezogen werden, ereignet es sich wohl, daß man nur eben die Heringsköpfe darin findet, indem während der Nacht Seehunde hinter den Netzen entlang geschwommen sind und alle Heringe, bis auf diesen in den Maschen steckenden Überrest verzehrt haben.“ Kein Wunder, dass der Ärger der Fischer wuchs, denn die Heringsreste konnten sie nur noch als Ackerdünger gebrauchen.
Von dem Wunsch nach einer verstärkten Jagd auf die südlich von Rügen auftauchenden Seehunde lesen wir in einer Zeitungsmeldung aus Lauterbach (Rügensches Kreis- und Anzeigeblatt, 05. November 1899): „Alljährlich kehren die Klagen der Fischer aus Lauterbach wieder, über die Unzahl von Seehunden, die während des Hochsommers und Herbstes ja selbst im Winter unsere Gewässer heimsuchen. Wenn man erwägt, wie viele Häringe von dem Raubgesindel vertilgt werden, das vornehmlich von den ausgestellten Netzen die Härnige abreißt und frißt, erscheinen die Klagen wohl berechtigt. Außerhalb z. B. an der dänischen Küste, wo der Seehund ebenfalls bekannt ist und haust, sind zur Vertilgung desselben von den Behörden Büchsen zu einem ganz billigen Preise an die Fischereibevölkerung vertheilt worden. Auch wird seit dem Jahre 1890 daselbst eine Prämie für jeden erlegten Seehund ausgezahlt. Es mag dabei angeführt werden, daß seit 1890 bis Ende 1898 11.424 Seehunde erlegt wurden, wofür 34.272 Kronen an Schießprämien ausgezahlt worden sind… Dies bei unseren Behörden anzuregen, soll auch der Zweck vorstehender Zeilen sein.“
Wie am 24. Januar 1901 gemeldet wurde, trieben die Seehunde den Fischern einen noch tolleren Streich: Von ihren freien Stellen im Eis („Waken“ genannt) aus schwammen sie zu den Löchern, welche die Fischer zum Hechtangeln geschlagen hatten. Hier bedienten sie sich dann an den Fängen, die den Fischern nicht mehr vergönnt sein sollten. Sie schwammen zu den Hechtangeln und bedienten sich dort, indem sie die darin hängenden Bleie vielfach an- und abfraßen. „Beim Aufholen der Angeln seitens der Fischer verfolgt der Seehund nicht selten den lebendigen Blei bis vor das Angelloch und verschwindet dann eiligst, so daß der betreffende Fischer ihm mit dem sogenannten Huker nicht beikommen kann.“ Griebens Natur- und Kunstführer für Rügen (1925) ergriff sogar Partei und ließ mit einem schmunzelnden Auge die Beraubten zu Wort kommen: „Einige Hunde, die dann wie zum Hohn ihre blanken Köpfe und blöden Augen in einiger Entfernung vom Boot auftauchen lassen, haben die Netze einfach abgelesen.“
Für viele wurde es damals zur Selbstverständlichkeit, dass man das Meerestier jagte. Von Mönchgut wissen wir, dass die gefürchteten und mit allerlei abergläubischen Ritualen verbundenen Seehunde sogar in großen Bügelreusen gefangen wurden. Bald löste das Gewehr die Riesenreuse ab. Ende der 1890er Jahren finden wir in den Tageszeitungen häufig Nachrichten von erlegten Seehunden an der Küste Rügens, Jubelrufe der Fischer eingeschlossen. Jeden Abschuss verbuchte der Schütze als einen Erfolg für die Fischerzunft. Immerhin lebten um 1901 über 690 Insulaner von der See- und Küstenfischerei.
Ostsee-Zeitung