Handelnde Personen, beschriebene Orte und geschilderte Ereignisse fand der Autor nicht in den vielen Rügenchroniken oder farbreichen Bildbänden, sondern meist zwischen den Zeilen, wie man so schön sagt. Es handelt sich dabei auch um Geschehnisse, die in bisherigen Untersuchungen keine große Rolle spielten, aus heutiger Sicht aber in die Betrachtungen Einzug halten sollten. Denn alle haben in bestimmter Weise auch Bezüge zur „großen deutschen Geschichte“ oder spiegeln Entscheidungen, Bemühungen oder Ideen daraus wieder.
Das Buch bietet einen Blick in die Biographien großer deutscher Persönlichkeiten wie Goethe und Schiller, die Beziehungen zu Rügen unterhielten, auch wenn sie selbst nie im deutschen Norden weilten. Wissenschaftler wie die Gebrüder Humboldt besuchten die Insel und hinterließen mit Tagebuchaufzeichnungen und Briefen wertvolles Material für Rügenforscher. Der Autor Theodor Fontane verlegt nach einem Rügenaufenthalt eine Episode seines Romans „Effi Briest“ hierher.
Grafik aus dem Buch „Schaurig-schönes Rügen“
Ein fast vergessener Berufszweig steht ebenso im Mittelpunkt einer Geschichte wie das Schicksal des Malte Ludolph von Veltheim und Herr zu Putbus, der als Opfer des Nationalsozialismus im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet wurde. Wundersame Sagen und altbekannte Bräuche bilden wiederum den Ausgang für andere Einblicke in die Vergangenheit der Insel Rügen.
Das Buch soll nicht allein ein Stück Historie aus vielen rügenschen Dörfern und Städten widerspiegeln, sondern auch beweisen, welche außerordentliche Rolle das Eiland in jedem der zurückliegenden Jahrhunderte spielte. Manchmal diente es als Zankapfel zwischen rivalisierenden Fürsten, andere nutzten es als militärischen Stützpunkt oder eben nur als Ort der Erholung und Besinnung.
Der Autor bietet dem Leser einen Einblick in mehr als 500 Jahre Rügengeschichte, indem er einige der größeren und großen Höhepunkte herausgreift und anschaulich erzählt. Einen besonderen Wert bekommt das bei Rügendruck produzierte Werk durch die Illustrationen der Rügener Malerin Gabriele Taube, die unter anderem auch in der Heimatstadt des Autors in unterschiedlichen Ausstellungen zu sehen ist.
André Farin
Schaurig-schönes Rügen
Von Steinzangern, Schatzsuchern und schießenden Jungfrauen
ISBN 978-3-00020513-2
127 Seiten 11,50 €
Leseprobe
Express-Verbindung mit Hiddenseedamm?
1900 sollte die Eisenbahn über Vitte nach Stockholm fahren
Gerade hatten die deutschen Eisenbahner im Mai 1897 stolz die Postdampferlinie von Sassnitz nach Trelleborg eröffnet, da forderten die Schweden von ihren Kollegen, sie mögen die Fahrzeit der Bahn von Berlin nach Sassnitz auf drei bis vier Stunden verkürzen. Wieder herrschte Planungsstimmung in den Regierungsbüros beider Seiten, die verschiedene Ideen im Rügenschen Kreis- und Anzeigeblatt diskutierten.
Einig waren sich die Experten, dass endlich eine feste Eisenbahnbrücke nach Rügen her musste, die den zu teuren Trajektbetrieb ablöste. Der Dampfer „Prinz Heinrich“, der seit 1883 die Eisenbahnen von Stralsund nach Rügen transportierte, reichte schon lange nicht mehr aus, denn er war nur 36 Meter lang und fasste nicht mehr als drei Eisenbahnwaggons. Insgesamt nur 250 Fahrgäste konnten befördert werden. Das genügte bei weitem nicht mehr den modernen Vorstellungen eines schnelleren und komfortableren Reiseverkehrs. Da nützten auch nicht die Beschwerden von 32 Fährgenossen, die das Königreich Preußen sogar wegen angeblicher Geschäftsschädigung verklagen wollten. Sie wurden mit einer einmaligen Abfindung abgespeist. Auf höherer Ebene begannen jetzt Debatten, als drei Varianten für eine mögliche Brücke ins Spiel gebracht wurden, an welchem Standort die Brücke entstehen sollte.
Ein Lager favorisierte eine Brücke zwischen Neuhof und Prosnitz, die günstiger sein sollte als zwischen Stahlbrode und Glewitzer Fähre. Mit einer neuen Linienführung der Eisenbahn von Prosnitz über Garz, Putbus und Zirkow nach Sassnitz wollte man Schwierigkeiten bei Bergen und Lietzow umgehen. Hier musste beispielsweise das eine Gleis ausgetauscht und um ein zweites ergänzt werden, um die Zugfrequenz zu erhöhen. Und so schön die Strecke über Zirkow und durch die Schmale Heide auch beschrieben wurde, so bemerkten Skeptiker doch das hüglige Gelände bei Zirkow und fragten, ob da wohl der Zug in Eilzuggeschwindigkeit durchrasen könnte. Außerdem hatten die Ortschaften bis Putbus einen Hafen, der den Frachtverkehr auf der Bahnverbindung herabmindern würde. Schließlich fahre in der Gegend seit 1895 die Kleinbahn, die sich eher als Konkurrenzlinie erweisen würde. Bis 1899 war nämlich der Schienenstrang von Putbus aus über Binz, Sellin und Baabe bis nach Göhren auf Mönchgut erweitert worden.
Deshalb sparten sich die Experten die Prüfung der Baukosten an dieser Stelle und prüften nun den Bau von zwei Dämmen. Einer davon sollte der Damm nach Rügen sein, der zweite – man lese und staune – war für die Insel Hiddensee gedacht. Nun begannen die Messungen und Berechnungen, die mit einem erstaunlichen Ergebnis endeten. Der Bau eines Hiddenseedammes wäre zwar genauso teuer wie eine vergleichbare Anbindung nach Rügen und würde auch so lange dauern, aber die Fahrzeit hätte um eine Stunde verkürzt werden können. Bei einer idealen Verbindung würde der Zug von Berlin nach Sassnitz (über Prosnitz) 3,75 Stunden, von Berlin über die Nordbahn nach Vitte nur 3,5 Stunden brauchen. Die Strecke unterschied sich um gut 30 Kilometer. Die andere halbe Stunde Gewinn sollte durch die kürzere Seefahrt von Vitte nach Trelleborg erreicht werden.
In einer Bauzeit von zwei Jahren wollte man die Eisenbahnverbindung über Hiddensee fertig stellen. Für 2,5 Millionen Mark sollte der Damm über die Sandbank „Gellerhaken“ geschüttet und für weitere 1,5 Millionen Mark der Hafen von Vitte ausgebaut werden. Nachdem die Eisenbahner ihre Vorstellungen geäußert hatten, meldeten sich außerdem die Militärs und Tourismusunternehmer zu Wort. Die militärische Bedeutung der Hafenanlage von Vitte war nicht zu unterschätzen, ähnlich wie der Bau einer Eisenbahnstrecke auf Hiddensee, denn die Insel war im Unterschied zu den Ostseebädern Rügens nicht erschlossen und damit benachteiligt. Der Badestrand der Hiddenseer sei doch um ein Vielfaches schöner, weshalb die Inselpatrioten forderten:
„Würde Hiddensee durch eine Bahn zu einem Badeort, dann wäre der Kranz lieblicher Bäder, die die Perle der Ostsee, unser schönes Rügen, umringen, geschlossen.“
Das liebe Geld reichte vor 100 Jahren für keinen der beiden Dämme. Das verträumte Hiddensee blieb glücklicherweise ohne Bahnanschluss. Und bis Rügen seinen Damm bekam, sollten noch einmal über 30 Jahre ins Land gehen. Solange investierten die Eisenbahner in sechs weitere Fährschiffe, die Tag und Nacht pendeln mussten, um den Anforderungen zu genügen. Erst im Oktober 1936, nach einer gut fünfjährigen Bauzeit der Brücke über den 600 Meter breiten Sund, rollte der erste Zug über den Rügendamm.
Antje Rohm, Volksstimme